(23.8.2022) Ist ein Strafrichter des Landgerichts Leipzig, der über die Anklage gegen den Musiker Gil Ofarim entscheiden soll, befangen? Das meint sein Verteidiger Dr. Alexander Stevens und versteigt sich dann zu der Behauptung, die dortige Justiz sei Politikern untergeben.
Die Süddeutsche Zeitung schreibt dazu:
"Rechtsanwalt Stevens spricht von "einer massiven medialen Vorverurteilung" seines Mandanten und zweifelt die Unabhängigkeit der Leipziger Justiz an. "Trotz der grundrechtlich geschützten Unschuldsvermutung haben ausgerechnet der Landesvater, Ministerpräsident Kretschmer, aber auch beispielsweise Ex-Justizminister Heiko Maas sich im Vorfeld zur Sache inhaltlich geäußert und ihrer untergebenen Justiz damit Leitlinien einer Verurteilung quasi vorgegeben."
Was war geschehen? Ministerpräsident Kretschmer tweetete zu dem Thema, in den vergangenen Jahrzehnten sei ein großes Vertrauen "zwischen Deutschen und Juden gewachsen". Heiko Maas hatte dazu gesagt, Leipzig sei kein Einzelfall - mehr Einsatz gegen Judenhass sei erforderlich.
Ich kann hier schon keine Einflußnahme in Richtung einer Verurteilung oder Anklageerhebung in dem Fall Ofarim erkennen.
Politiker können Strafrichtern im Übrigen in keinster Weise "Leitlinien vorgeben". Die Strafrichter sind dem Ministerpräsidenten oder dem Justizministerium auch nicht "untergeben" (wohingegen die Staatsanwaltschaft weisungsgebunden ist). Hier übersieht der Kollege die verfassungsrechtlich garantierte Gewaltenteilung zwischen Staat und Justiz ebenso wie die gesetzlich garantierte Unabhängigkeit der Richter. Was der Kollege Stevens da verlauten lässt, ist schlicht Unsinn.
Als Organ der Rechtspflege, zu der neben den Anwälten auch die Richter gehören, muss ich mich gegen die pauschale und in der Sache unbegründete Unterstellung des Kollegen Stevens gegenüber der Richerschaft mit Nachdruck verwehren. Sowas sagt man nicht als Organ der Rechtspflege. Solche Aussagen untergraben das Vertrauen der Bürger in die Funktion des Rechtsstaates.
Ob es seinem Mandanten hilft, wenn der Verteidiger noch vor Anklagezulassung bereits das Gericht persönlich angreift, bleibt abzuwarten, vor allem, da die Masse der Befangenheitsanträge bekanntlich erfolglos ist. Und ob eine Konfliktverteidigung unter Einbeziehung einer - auf ganz dünnen Beinen stehenden - medialen Gegenoffensive hier sinnvoll ist, ist überdies fraglich.