(12.3.2020) Todkranke Patienten mit dem Wunsch zu sterben kriegen auch weiterhin, wie befürchtet, nicht die dafür erforderlichen Medikamente. Auf Anfrage teilte das Gesundheitsministerium mit, dass das Bundesamt für Arzneimittel auch weiterhin diesen Patienten keine Genehmigungen für den Erhalt der todbringenden Medikamente erteilen wird. Damit mißachtet der Gesundheitsminister Spahn (CDU) ein anderslautendes Urteil des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 2. März 2017 – 3 C 19/15) und ignoriert auch die Aussage des Bundesverwaltungsgerichts, dass die ärztliche Sterbehilfe in diesen Fällen für straflos erklärt hatte (Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 26. Februar 2020 - 2 BvR 2347/15, 2 BvR 2527/16, 2 BvR 2354/16, 2 BvR 1593/16, 2 BvR 1261/16 und 2 BvR 651/16).

Medikamente zur SelbsttötungDas Bundesverwaltungsgericht hatte schon 2017 entschieden, dass der Erwerb eines Betäubungsmittels für eine Selbsttötung mit dem Zweck des Betäubungsmittelgesetzes ausnahmsweise vereinbar ist, wenn sich der suizidwillige Erwerber wegen einer schweren und unheilbaren Erkrankung in einer extremen Notlage befindet (BVerwG, Urteil vom 2. März 2017 – 3 C 19/15). Die damals vielbeachtete Entscheidung ließ aber das Bundesamt für Arzneimittel kalt - auch weiterhin erteilt das Amt de facto keine Genehmigungen für die ausnahmsweise Gabe von todbringenden Medikamenten (zB Natrium-Pentobarbital) zur Selbsttötung. 

Auch das Bundesverfassungsgericht, die letztlich höchste rechtliche Instanz in Deutschland, hat sich jetzt für die Sterbehilfe ausgesprochen und die Beihilfe des Arztes zu der Sterbehilfe als straflos erklärt. Dies beinhaltet natürlich im Subtext auch die Aussage, dass diese Hilfe auch technisch möglich sein muss. 

Gleichwohl nutzt der Gesundheitsminister seine faktische Rechtssetzungsmacht dahin, dass er das Bundesamt für Arzneimittel angewiesen hat, auch weiterhin keine entsprechenden Genehmigungen an schwer Erkrankte, die sich in einer Notlage befinden, zu erteilen. Das ist klar rechtswidrig. Das Ministerium bricht sehenden Auges das Recht und verläßt sich darauf, dass nur wenige Betroffene den nun notwendigen Klageweg wählen werden, um ihr Recht auf Selbsttötung vor den Verwaltungsgerichten durchzufechten. 

Verzweifelten todkranken Patienten bleibt damit nur, sich entweder einen langen und höchst belastenden Rechtsstreit mit dem Bundesamt für Arzneimittel loszutreten oder sich schlicht von einem Hochhaus zu stürzen, zu erschießen oder sich die Pulsadern aufzuschneiden. Was aber für Todkranke nahezu unmöglich ist. Auch ist es schwer, sich diese Medikamnte über dunkle Kanäle oder sonstwie, z.B. im Ausland, zu besorgen.

Das christlich geleitete Gesundheitsministerium hat noch nicht verstanden, dass Gesundheit nicht nur die Abwesenheit von Krankheit oder deren Heilung beinhaltet, sondern auch die Behandlung und auch die Linderung von untragbaren Schmerzen. "Aufgabe der Ärztinnen und Ärzte ist es, ... Leiden zu lindern ... (und) Sterbenden Beistand zu leisten ..." (§ 1 Absatz 2 der Muster-Berufsordnung der Ärzte). Und wer todkrank ist und nur noch Schmerzen hat, für den ist das Leiden eben nur noch durch den eigenen Tod zu lindern. 

Todkranken Patienten den gewünschten Tod zu verweigern, ist nicht christlich, sehr geehrter Herr Spahn, sondern einfach nur überheblich, bösartig und lebensfremd. Und wenn schon Ministerien Gerichtsurteile der höchsten für sie zuständigen Gerichtsinstanz mißachten (Bundesverwaltungsgericht) und konsequent und einzelfallunabhängig alle Anträge auf Abgabe der Medikamente ablehnen, warum soll dann der Bürger sich im Alltag noch an "das Recht" halten? 

Am Schluß eine kurze Erläuterung der Bedeutung und Tragweite des Urteils des Bundesverfassungsgerichts:

Das Bundesverfassungsgericht ist wie gesagt hier die höchste Instanz. Erklärt das Bundesverfassungsgericht eine Norm für ungültig (wie hier die Strafnorm für Ärzte), dann ist die Norm in diesem Moment unwirksam. Die Norm wird dann so behandelt, als ob sie gar nicht im Gesetz stände. Die Norm ist quasi gelöscht, futsch, weg. Das ist die stärkste Wirkung, die es im deutschen Recht für ein Gericht gibt - Gesetze aufheben zu können! Dementsprechend selten nutzt das Gericht diese ungeheure Macht. In der Regel nimmt das Bundesverfassungsgericht Verfassungsbeschwerden gar nicht an, sondern weist sie von der Türschwelle ab. Es erklärt diese Beschwerden dann für nicht erheblich. Ganz selten nimmt das Gericht dann doch mal eine Beschwerde an, um über diese in der Sache zu entscheiden - um dann in der Regel fast alle Beschwerden als unbegründet abzuweisen. Ganz selten, also wirklich ganz selten, schlägt aber mal eine Verfassungsbeschwerde durch. Dann horchen die Juristen auf: Gott ist ausnamsweise vom Himmel herabgestiegen und hat gesprochen: "Dieses Gesetz ist verfassungswidrig". Der Jurist steht in Ehrfurcht da, denn er weiß, wie selten dies ist und er weiß, dass das Bundesverfassungsgericht, besetzt mit den besten, erfahrensten und nobelsten Richtern des Landes, denen die besten wissenschaftlichen Mitarbeiter zuarbeiten, und die lange an ihren Entscheidungen sitzen, eine besondere Stimme hat und seine Entscheidungen ein besonderes Gewicht.

Für den Gesundheistminister hat das Gericht leider keine Bedeutung. Ich ärgere mich persönlich darüber, dass Herr Spahn die Bedeutung des Bundesverfassungsgerichts so verkennt und sich so ignorant verhält. 

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Philip Christmann
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