(21.12.2017) Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses zur Qualitätssicherung nach § 136 SGB V sind für die Frage, was der Arzt dokumentieren muss, ohne Belang. Entspricht eine schriftliche oder bildliche Operationsdokumentation nicht den Anforderungen einer solchen Richtlinie (hier: der Qualitätsbeurteilungs-Richtlinie Arthroskopie), weil dort der einer Knieprothese zugrunde liegende Befund nicht benannt wird, so kann allein hierauf eine Beweiserleichterung für den Patienten nicht gestützt werden (Oberlandesgericht Nürnberg, Urteil vom 20. April 2017 – 5 U 458/16).

KniearthroskopieDer Fall:

Ein Patient wurde mit starken Kniebeschwerden in einem Krankenhaus behandelt. Es zeigten sich auf den Röntgenaufnahmen im Bereich der medialen Kondyle osteonekrotische Veränderungen. Die Ärzte stellten die Verdachtsdiagnose Morbus Ahlbeck (Knochensterben) und besprachen mit dem Patienten eine operative Behandlung des Knies (Kniearthroskopie) in deren Folge man befundabhängig weiter vorgehen wolle - entweder mit einer Spongiosaplastik und MACT oder sogar mit einer Knieschlittenprothese. 

Im Zuge der anschließenden Arthroskopie entfernten die Ärzte die betroffenen Knochenstellen und implantierten einen unikondylären Gelenkersatz in Form einer Schlittenprothese. Im Operationsbericht ist dazu vermerkt, "im Zuge der Arthroskopie zeige sich erneut die Indikation zur Implantation eines unikondylären Ersatzes bestätigt". Eine detaillierte Darstellung des Arthroskopie-Befundes enthält der Operationsbericht nicht. Mit anderen Worten ist unklar, was den nun genau für ein Befund vorlag. 

Nach der Operation klagte der Patient, ihm sei ohne Not ein Teil des Knies entfernt worden und er leide nun an den sich daraus ergebenden Bewegungseinschränkungen. Denn ob tatsächlich ein Morbus Ahlbeck vorlag, sei unklar.

Das Landgericht wies die Klage des Patienten auf Schmerzensgeld ab. 

Die Entscheidung:

Das OLG Nürnberg wies nun auch die Berufung des Patienten zurück. 

Das OLG befasst sich mit der Frage, ob ein Dokumentationsmangel vorliegt, der dem Patienten Beweiserleicheterungen bringen könne. Das OLG verneint dies aber. Das OLG weist zuesrt darauf hin, dass nach § 630 f BGB nur erhobene Befunde dann gesichert werden müssen, wenn sie für das weitere Behandlungsgeschehen zur Verfügung stehen müssen, sprich diese für die weitere Behandlung erforderlich sind.

Eine genauere Beschreibung der Befunde erscheine aus Sicht des Sachverständigen für das postoperative Behandlungsregime aber nicht erforderlich, weil nach dem Einsetzen der Schlittenprothese der Gelenkknorpel in dem betreffenden Kompartiment nicht mehr vorhanden ist. Daher leuchtet es für das Oberlandesgericht ein, dass für einen Nachbehandler das Ausmaß der zuvor bestehenden Knorpelschädigung keinerlei Bedeutung mehr hat. Somit kommt das OLG zu dem Schluß, dass die Arthroskopiebefunde nicht im Einzelnen dokumentiert werden mussten.

Anmerkung:

Das OLG Nürnberg geht also davon aus, dass der Befund des Knies (Knochennekrose aka "Morbus Ahlbeck" oder etwas anderes) für das weitere Behandlungsgeschehen nicht wesentlich war, sprich für einen weiterbehandelnden Arzt irrelevant war, weil der schmerzbetroffene Teil des Knies ja sowieso nicht mehr da ist, sprich durch eine Teil-Prothese ersetzt wurde. Diese Annahme ist aber meines Erachtens falsch. 

Ursachen für eine solche Knochennekrose können sein:

  • Knochenbrüche
  • starkes Übergewicht
  • Sichelzellanämie
  • Blutgerinnungstörungen
  • Eine Nierentransplantation.

Für den nachbehandelnden Arzt ist es daher durchaus relevant, ob der Patient nun tatsächlich unter einer Knochennekrose litt (Morbus Ahlbeck), denn wenn dies der Fall war, könnte dies auch später das andere Knie betreffen. Ist ein Patient z.B. übergewichtig, so könnte er auch am anderen Knie eine Knochennekrose erwerben. Treten an dem anderen Knie Beschwerden auf, so würde der weiterbehandelnde Arzt nur zu gerne wissen, ob der Patient am bereits operierten Knie eine Knochennekrose aufwies oder nicht. Und: Auch z.B. im Hüftgelenk kann eine Knochennekrose auftreten. Man spricht dann von einer Hüftkopfnekrose. Mit anderen Worten: nur weil das betroffene Knie ersetzt wurde, ist die Ursache ja nicht aus der Welt und die (nun infolge der fehlenden Dokumentation weiter unklare) Ursache kann ja auch an anderen Gelenken noch Beschwerden verursachen und der behandelnde Arzt muss - wegen des Fehlens der Dokumentation der Knie-Operation dann aber wieder diagnostisch "bei Null anfangen". Dies hat das Oberlandesgericht Nürnberg nicht berücksichtigt.

Auch aus einem anderen Grund muss die Entscheidung kritisch bewertet werden: Das Urteil ist geeignet, die Bemühungen des Gesetzgebers zur Qualitätsverbesserung im operativen Bereich deutlich zurückzuwerfen und die Interessen der Patienten zu schädigen. 

Der Zweck dieser Dokumentationen nach der genannten Richtlinie besteht darin, eine Qualitätsbeurteilung arthroskopischer Operationen zu ermöglichen, so das OLG Nürnberg. Damit diene es nicht dazu, das postoperative Behandlungsregime zu fördern. Das OLG übersieht aber mit dieser formaljuristischen Analyse, dass sowohl die Qualitätsrichtlinie als auch die Dokumentation damit demselben Fernziel dienen - der Gesundheit des Patienten.

Die Kriterien zur Qualitätsbeurteilung arthroskopischer Operationen nach § 136 Abs. 2 SGB, die die Qualität der Arthroskopien in Kliniken verbessern sollen, fordern zwar eine detaillierte Beschreibung des pathologischen Gelenkbefundes in einer schriftlichen Dokumentation und eine bildliche Dokumentation. Verstöße gegen diese Richtlinien führen aber allenfalls zu Vergütungsabschlägen oder ähnlichem (vgl. § 137 SGB V). Diese Qualitätsrichtlinien sind also zahnlos. Verstöße haben kaum Folgen. Es ist vielmehr so, dass eine Befolgung der Qualitätsrichtlinien zu einem Bonus in der Vergütung führen kann. 

Wenn nun Verstöße gegen die Richtlinien auch haftungsrechtlich unerheblich sind, wie das OLG Nürnberg meint, ist dies zwar angenehm für den Arzt, für die Qualitätsrichtlinien aber faktisch ein Todeurteil. Denn sanktionslose Regeln sind wertlos und werden nicht beachtet. Der Leidtragende ist der Patient.

Praxistipp:

Der Sachverständige hat festgestellt, aus medizinischer Sicht genüge es, im Operationsbericht festzuhalten, dass Befunde gefunden worden seien, die die Indikation für die Schlittenprothese bestätigten. Eine genauere Beschreibung der Befunde erscheine für das postoperative Behandlungsregime nicht erforderlich. Da nach dem Einsetzen der Schlittenprothese der Gelenkknorpel in dem betreffenden Kompartiment nicht mehr vorhanden ist, leuchtet ein, dass für einen Nachbehandler das Ausmaß der zuvor bestehenden Knorpelschädigung keinerlei Bedeutung mehr hat. 

Zwar kann ein Arzt dieser Linie folgen und sich darauf beschränken zu dokumentieren, dass "Befunde gefunden wurden, die Indikation für ... (die jeweilige operative Maßnahme) bestätigten". Aus anwaltlicher Sicht ist es aber für den Arzt der sicherste Weg, die Befunde gleichwohl zu dokumentieren und auch entsprechende intraoperative Bildbefunde zu sichern. Er erspart sich damit auch Diskussionen mit dem Patienten.

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Philip Christmann
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