(9.11.2017) Härtefallzahlungen an kriselnde Arztpraxen und konvergenzbedingte Ausgleichszahlungen (Honorarstützung) schließen sich nicht per se gegenseitig aus. Wenn allerdings der Arzt eine Ausgleichszahlung und damit 95 % des Honorars des Vorjahresvergleichsquartales erhält, ist für weitere härtefallbedingte Zahlungen kein Raum mehr. Verlangt der Arzt darüber hinaus Härtefallzahlungen (z.B. wegen vermeintlicher Gefährdung der Existenz der Praxis), so muss er substantiiert darlegen, warum die Existenz trotz Erhalt von 95 % des Honorars des Vorjahresvergleichsquartales gefährdet sein soll. Ein auf Anerkennung und Bewertung von Praxisbesonderheiten gerichtetes Verwaltungsverfahren findet nicht von Amts wegen und auch nicht auf einen Antrag des Arztes auf Gewährung von Stützungszahlungen wegen Härtefalls statt - der Arzt muss vielmehr ausdrücklich einen solchen Antrag bei der Verwaltungsbehörde stellen; vorher darf er auch nicht auf Anerkennung von Praxisbesonderheiten klagen, weil das Verwaltungsverfahren zwingend vorrangig ist (Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 25. Oktober 2017 – L 5 KA 1868/14).

Röntgenaufnahmen der WirbelsäuleDer Fall:

Nach Einführung der Regelleistungsvolumen Anfang 2009 sanken die Einnahmen eines niedergelassenen Radiologen kontinuierlich. Der Radiologe führte nur MRTs durch, für Röntgenuntersuchungen besaß er keine Genehmigung. Daher fehlten ihm sog. "Verdünnerfälle". Trotz Fallzahlsteigerung traten Fallwertverluste ein.  

In der Folge begehrte der Arzt und spätere Kläger von der beklagten KV höheres Honorar für die Quartale ab 1/2009 durch (gänzlich) ungekürzte (unquotierte) Vergütung der in diesen Quartalen erbrachten Leistungen, hilfsweise durch Gewährung eines arztindividuellen Aufschlags auf den Regelleistungsvolumen(RLV)-Fallwert infolge Praxisbesonderheiten bzw. die Gewährung von Ausgleichszahlungen (Honorarstützung) wegen Härtefalls.

Die Beklagte half diesen Anträgen und Widersprüchen des Klägers nur teilweise ab und gewährte konvergenzbedingte Ausgleichszahlungen, bis 95 % des Honorars des Vorjahresvergleichsquartals aufgefüllt waren.

Die Entscheidung:

Das Landessozialgericht bestätigte diese Bescheide.

Die angefochtenen Honorarbescheide sind rechtmäßig. Die Beklagte hat das Honorar des Klägers für die Quartale 1/2009 bis 4/2009 ohne Rechtsfehler festgesetzt. Der Kläger kann höheres Honorar durch ungekürzte (unquotierte) Vergütung seiner Leistungen und Ausgleichszahlungen wegen Härtefalls nicht beanspruchen (unten 1). Der Senat kann die Beklagte - worüber die Beteiligten zuletzt noch im Wesentlichen streiten - auch nicht dazu verurteilen, das Honorar des Klägers für die streitgegenständlichen Quartale unter Gewährung eines arztindividuellen Aufschlags auf den RLV-Fallwert nach Anerkennung und Bewertung von Praxisbesonderheiten wegen der ausschließlichen Erbringung von MRT-Leistungen neu (und höher) festzusetzen (unten 2).

1.

a. Die Zuweisung der Regelleistungsvolumen sind rechtmäßig und auch bestandskräftig geworden.

b. Härtefallausgleichszahlungen gemäß Teil B § 12 Abs. 1 Satz 1 HVV kann der Kläger nicht verlangen. Da der Honorarrückgang des Klägers in den Quartalen 1/2009 bis 4/2009 gegenüber dem jeweiligen Vorjahresquartal infolge der Gewährung konvergenzbedingter Ausgleichszahlungen (unstreitig) nur 5% beträgt und er 95% des Honorars des Vorjahresquartals erhalten hat, kommt eine (weitere) Ausgleichszahlung wegen Härtfalls nicht (mehr) in Betracht. Mit der Gewährung von 95% des Vorjahresquartalshonorars kann auch eine - ohne weitere Darlegung - geltend gemachte Gefährdung der Praxisexistenz nicht angenommen werden

Auch die Härtefallfeststellung durch Vorjahresquartalsvergleich ist nicht zu beanstanden. Eine Langzeitbetrachtung der wirtschaftlichen Entwicklung der Praxis bei der Härtefallfeststellung findet dabei nicht statt. Wenn sich infolge einer besonderen Praxisausrichtung mit eingeschränktem Leistungsspektrum eine wirtschaftliche Entwicklung abzeichnet, die die wirtschaftliche Tragfähigkeit der Praxis durch über die Jahre auflaufende Honorarverluste gefährdet, muss der Vertragsarzt hierauf reagieren; er kann nicht darauf vertrauen, dass die KV die wirtschaftliche Tragfähigkeit seiner Praxis außerhalb der einschlägigen Härtefallregelungen durch entsprechende (außerordentliche und dauerhafte) Stützungszahlungen gewährleistet. Wirtschaftlichen Schieflagen der in Rede stehenden Art kann mit dem Instrumentarium des Honorarverteilungsrechts nicht abgeholfen werden.

2.
Die Zulässigkeit der Verpflichtungsklage (auf Neufestsetzung eines individuellen Aufschlags auf das RLV wegen Praxisbesonderheiten), setzt voraus, dass vor Klagerhebung das Verwaltungsverfahren durchgeführt worden ist. Der Kläger muss also die im Gerichtsverfahren mit der Verpflichtungsklage begehrte Leistung zuerst (erfolglos) bei der Verwaltungsbehörde beantragt haben. Dies ist hier nicht der Fall gewesen.

Praxisanmerkung:

Ab Januar 2009 brachte eine Gesetzesreform (GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz) eine komplette Neuordnung der vertragsärztlichen Vergütung. Ziel der im § 87b Abs. 2 und 3 SGB V festgelegten und vom Erweiterten Bewertungsausschuss konkretisierten Regelleistungsvolumina (RLV) ist es, die ärztliche Vergütung für gesetzlich Krankenversicherte zu begrenzen. Für Praxen mit hohen laufenden Kosten (z.B. radiologische Praxen mit vielen Geräten, die noch abbezahlt und teuer gewartet werden müssen) war die Einführung der RLV und die damit einhergehende Begrenzung der gesetzlichen Vergütungen eine erhebliche Belastung. Die Situation, in der sich der Arzt nach Einführung der RLV befand, ist insofern keine schlichte „wirtschaftliche Schieflage“, wie das LSG etwas vereinfachend meint, sondern eine die Einnahmen beschränkende gesetzliche Einflussnahme, die sich bei ungünstiger wirtschaftlicher Lage (nur MRT im Angebot, keine Verdünnerfälle) zu einer existenzbedrohenden Situation auswachsen kann. Hier wäre der Arzt gut beraten gewesen, dem Gericht im Detail über die Gefährdung der Praxisexistenz zu berichten z.B. durch ausführliche Darstellung der laufenden Kosten und der Entwicklung der Einnahmen der vergangenen Jahre. 

Und Praxisbesonderheiten muss der Arzt so früh wie möglich schriftlich bei der KV als Verwaltungsbehörde geltend machen. Der Arzt muss dabei den Begriff „Praxisbesonderheiten“ nennen. Der Arzt sollte dabei möglichst aussagekräftige Belege für die Existenz der Praxisbesonderheiten beifügen. Dem Arzt ist zu raten, frühzeitig anwaltliche Hilfe in Anspruch zu nehmen, so dass sichergestellt ist, dass die Anträge richtig, rechtzeitig und auch vollständig eingereicht werden.

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Philip Christmann
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