(4.1.2017) Eine Wirtschaftlichkeitsprüfung nach der statistischen Durchschnittsprüfung ergibt ein offensichtliches Missverhältnis bereits bei einer Überschreitung von 40-60 % des Gesamtfallwertes. Die Amtsermittlungspflicht endet bei Tatsachen der individuellen Praxisgegebenheiten des Arztes; dieser muss insoweit umfassend vortragen und verifizieren (Sozialgericht München, Urteil vom 09.11.2016 – S 38 KA 5170/15).

Unterlagen zur Wirtschaftlichkeitsprüfung: auch statistische Vergleichsprüfung ist zulässigDer Fall:

Mit 2015er Bescheid wurde die Gesamtabrechnung der klagenden Zahnärztin im Quartal um 20 % (9.464,87 EUR) gekürzt.

Der Beklagte wandte die Prüfmethode der statistischen Durchschnittsprüfung an. Es wurde festgestellt, dass der Fallwert in Euro der Klägerin im Quartal um 110 % über dem Durchschnitt der Fachgruppe lag. Zugleich unterschreite sie die Fallzahl der Fachgruppe um 43 %. Im angefochtenen Bescheid führte der Beschwerdeausschuss aus, auffällig sei der hohe Ansatz bei der Füllungstherapie mit dreiflächigen Füllungen (F 3-Füllungen + 990 %). Diese Leistungen würden im Bereich des Zahnhalses erbracht. Es handle sich um eine nicht nachvollziehbare systematische Abrechnung von F 3-Füllungen. Auffällig sei auch der gehäufte Ansatz von Röntgenleistungen, hier Leistungen nach der Bema-Nr. Ä 925a. Der Klägerin werde im Quartal eine Restüberschreitung in Höhe von 68 % belassen.

Der Kläger kritisierte u.a. die von der Beklagten verwendete Methode der statistischen Durchschnittsprüfung. Die "genetische" Auslegung unter Berücksichtigung der Gesetzesmaterialien ergebe nämlich, dass die statistische Durchschnittsprüfung ausgelaufen und als "minderwertiges" Prüfverfahren anzusehen sei. Abgesehen davon seien die Praxisbesonderheiten nicht ausreichend gewürdigt worden. Es handle sich insbesondere um die Berücksichtigung sog. schwerer Fälle und den Umstand, dass die Fallzahl der Praxis unterdurchschnittlich sei. Aufgrund dieses Zusammentreffens wirkten sich auch schwere Fälle einschneidender aus. Die Klägerin habe deshalb auch nicht in dem Umfang wie andere Praxen die Möglichkeit gehabt, einen Ausgleich durch sog. "Verdünnerfälle" herbeizuführen.

Die Entscheidung:

Das SG München wies die Klage als unbegründet ab. 

Zu Unrecht beanstandet die Klägerseite, dass der Beklagte eine statistische Durchschnittsprüfung durchführte. Zutreffend ist zwar, wie die Klägerseite ausführt, dass die statistische Durchschnittsprüfung nicht mehr als Regelprüfmethode anzusehen ist. Gleichwohl handelt es sich hierbei um eine zulässige und anerkannte Prüfmethode, die ihre Rechtsgrundlage in § 106 Abs. 2 Satz 4 SGB V in Verbindung mit §§ 18 Absatz 1b, 2 und 20 der Anlage 4a zum GV-Z findet.

Wie der Beklagte ausführte, ist eine Einzelfallprüfung angesichts der Fallzahl nicht zumutbar. Der Beklagte war deshalb, gestützt auf § 106 SGB V in Verbindung mit der Prüfvereinbarung berechtigt, eine statistische Durchschnittsprüfung durchzuführen, auch eine solche im Wege eines Vergleichs der Fallwerte. Letztere findet ihre Rechtsgrundlage in § 20 Abs. 7 der Anlage 4a zum GV-Z.

Wie das Bundessozialgericht ( BSG, Urteil vom 21.03.2012, Az. B 6 KA 17/11 R) ausführt, sind die Prüfgremien nicht verpflichtet, den Gründen für die unterdurchschnittliche Fallzahl nachzugehen, soweit der Grenzwert von 20 % der durchschnittlichen Fallzahl der Fachgruppe erreicht oder überschritten wird. Ausgangspunkt der Wirtschaftlichkeitsprüfung nach der Prüfmethode der statistischen Durchschnittsprüfung ist dabei die hohe Ausgangsüberschreitung des Gesamtfallwerts (Quartal: + 110 %). Diese liegt im Bereich des offensichtlichen Missverhältnisses, das bereits bei einer Überschreitung von 40-60 % anzunehmen ist. Im Einzelnen stellte der Beklagte hohe Überschreitungen bei den Füllungsleistungen der Bema-Nr. 13c (+ 990 %) und bei Röntgenleistungen der Bema-Nr. Ä 925a fest.

Nicht zu beanstanden ist ferner, dass der Beklagte nicht bzw. nicht explizit Praxisbesonderheiten und/oder kompensatorische Einsparungen anerkannte und diese nicht auf der ersten Stufe der intellektuellen Prüfung berücksichtigte. An Praxisbesonderheiten wurden klägerseits insbesondere sog. schwere Fälle und die niedrige Fallzahl im Quartal geltend gemacht. Diese hat die Klägerin aber nicht hinreichend belegt. Zwar gilt im Grundatz die Amtsermittlungspflicht. Trägt der Arzt aber Praxisbesonderheiten vor, so hat er diese zu belegen: Alle bedeutsamen Umstände des Praxisbetriebes und die Zusammensetzung des Patientengutes müssen vom Arzt umfassend vorgetragen und verifiziert werden. Der bloße Hinweis auf Praxisbesonderheiten genügt dieser Substantiierungspflicht nicht (BSG, Urteil vom 16.07.2003, B 6 KA 45/02 R; Landessozialgericht Hessen, Beschluss vom 08.08.2013, L 4 KA 29/13 B ER; SG Marburg, Urteil vom 18.11.2015, S 12 KA 275/14). Der Vortrag der Zahnärztin zu ihren Praxisbesonderheiten genügt diesen Anforderungen nicht.

Wenn die Klägerin im Nachhinein im Rahmen des Klageverfahrens 60 Fälle aufführt, bei denen es sich um schwere Fälle handeln soll, so wäre es ihre Aufgabe gewesen, diese Fälle im Vorverfahren zu benennen und konkret anhand von Unterlagen aufzuzeigen, warum diese einen solchen umfangreichen Sanierungsaufwand auslösten.

Praxisanmerkung:

Einmal mehr scheitert die Klage gegen einen Regress nach Wirtschaftlichkeitsprüfung daran, dass der Arzt seine Praxisbesonderheiten nicht sogleich im Widerspruchsverfahren umfassend darlegt. Werden Belege erst vor Gericht nachgereicht, so lässt das Gericht dies nicht mehr gelten. 

Der betroffene Arzt sollte also bereits im Widerspruchsverfahren anwaltliche Hilfe suchen und sogleich umfassend zu den Praxisbesonderheiten vortragen. Dabei gilt, dass mehr besser ist als weniger.

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Philip Christmann
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