Begehrt eine Krankenversicherung Einsicht in Behandlungsunterlagen eines verstorbenen Patienten, so ist sie nicht verpflichtet, Näheres zum Behandlungsfehler (hier Unfallgeschehen) vorzutragen. § 630g BGB regelt dieses Einsichtsrecht auch nicht abschließend etwa in dem Sinne, dass der Versicherung eben kein Recht zur Einsicht zukäme oder dieses nur vorläge, wenn es von dem Patienten ausdrücklich erteilt worden sei. Die Neuregelung des § 630 g BGB steht dem Einsichtsrecht aus § 116 Abs. 1 Satz 1 SGB X, §§ 401 Abs. 1 analog, 412 BGB nicht entgegen (Landgericht Hof, Urteil vom 09.06.2016 - 24 S 4/16).

Behandlungsunterlagen des PatientenTenor

I. Die Berufung der Beklagten gegen das Endurteil des Amtsgerichts Wunsiedel vom 22.12.2015 (1 C 10/15) wird zurückgewiesen.

II. Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Beklagte zu tragen.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Fall:

Tatbestand

Hinsichtlich der Tatsachenfeststellungen wird Bezug genommen auf das angefochtene Endurteil des Amtsgerichts Wunsiedel vom 22.12.2015 (§ 45 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).

Das Erstgericht hat der Klage stattgegeben. Dagegen wendet sich die Beklagte mit ihrer eingelegten Berufung und beantragt:

Das am 22.12.2015 verkündete Urteil des Amtsgerichts Wunsiedel, Aktenzeichen 1 C 10/15, wird aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Die Klägerin beantragt, die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf die wechselseitigen Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie auf die Niederschrift der öffentlichen Sitzung vom 09.06.2016 Bezug genommen.

Die Entscheidung:

Entscheidungsgründe

I.

Die zulässige Berufung der Beklagten ist unbegründet.

Das Amtsgericht Wunsiedel hat mit der angefochtenen Entscheidung zu Recht der Klage vollumfänglich stattgegeben, da die Klägerin gegenüber der Beklagten einen Anspruch auf Herausgabe der angeforderten Behandlungsunterlagen der Patientin .... nach § 116 Abs. 1 Satz 1 SGB X, §§ 401 Abs. 1 analog, 412, 630g BGB hat.

Gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO hat das Berufungsgericht bei seiner Entscheidung von den vom Erstgericht festgestellten Tatsachen auszugehen, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten. Nach Maßgabe der Grundsätze ist die Kammer im vorliegenden Verfahren umfassend an die Tatsachenfeststellung der Erstinstanz gebunden, weil insoweit keine Sach- bzw. Rechtsfehler zum Nachteil der Berufungsführerin erkennbar sind.

Zur Vermeidung von Wiederholungen wird daher auf die zutreffenden Gründe der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen und zum Berufungsvorbringen lediglich nur noch ergänzend folgendes ausgeführt:

Das Erstgericht ist richtigerweise davon ausgegangen, dass die Klägerin hier ein sachliches Interesse für die beantragte Einsichtnahme ausreichend dargelegt hat. Soweit die Berufungsführerin rügt, dass vorliegend zumindest das Unfalldatum und jeweilige Örtlichkeit eines möglichen Unfalls hätten dargestellt werden müssen, ist dem nicht zu folgen, weil die Klägerin ohne Prüfung der Unterlagen der Beklagten hierzu keine weiteren konkreten Angaben machen konnte, ohne nur ins Blaue hinein Vermutungen aufzustellen. Insoweit genügt es - wie vorliegend geschehen - dass die Klägerin unter Verweis auf den in den entsprechenden Behandlungsunterlagen dargestellten Dekubitus II die Möglichkeit des Bestehens eines Schadensersatzanspruches dargestellt hat.

Soweit die Berufungsführerin außerdem meint, mit der Neufassung des § 630g BGB sei das Akteneinsichtsrecht in die Patientenakte abschließend dahingehend geregelt, dass zum einen den Sozialversicherungsträgern gerade kein Einsichtsrecht in die Patientenunterlagen des Verstorbenen zustehe und dass es zum anderen im Hinblick auf § 630g Abs. 3 BGB nicht mehr auf den mutmaßlichen Willen des Verstorbenen sondern nur noch auf eine entsprechend vorliegende Zustimmung der Erben ankommen solle, kann dies gleichfalls nicht zum Erfolg führen.

Denn ausweislich der bereits vom Erstgericht zitierten Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 26.02.2013, Az.:VI ZR 359/11 , die nicht vor der Neufassung des § 630g BGB ergangen und deshalb auch für den vorliegenden Sachverhalt maßgeblich ist, ist, geht das Einsichtsrecht bzw. der Herausgabeanspruch hinsichtlich der jeweiligen Behandlungsunterlagen des Patienten kraft Gesetzes gemäß § 116 Abs. 1 Satz 1 SGB X, §§ 401 Abs. 1 analog, 412 BGB auf den Träger der gesetzlichen Krankenversicherung über, sofern damit - wie hier - die Klärung von möglichen Schadensersatzansprüchen herbeigeführt werden soll. Der Bundesgerichtshof hat weiterhin festgestellt, dass in diesem Fall regelmäßig davon auszugehen ist, dass die Offenlegung der Unterlagen gegenüber der Krankenversicherung auch dem mutmaßlichen Willen des Verstorbenen entspricht. Damit ist höchstrichterlich auch klargestellt, dass die Neuregelung des § 630g BGB der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (vgl. BGH m.w.N.) dem hier in Streit stehenden Einsichtsrecht bzw. Herausgabeanspruch des Sozialversicherungsträgers aus übergegangenem Recht nicht entgegensteht und dass diese Ansprüche allein nach den höchstrichterlich dargestellten Voraussetzungen zu überprüfen sind.

Unter Anwendung dieser vom Bundesgerichtshof aufgestellten Grundsätze ist das Erstgericht zu Recht zu der Feststellung gelangt, dass die Beklagte zur Herausgabe der gegenständlichen Behandlungsunterlagen an die Klägerin gemäß § 116 Satz 1 SGB XI, 401 Abs. 1 analog, 412 BGB verpflichtet ist.

Die dagegen seitens der Beklagten eingelegte Berufung war folglich als unbegründet zurückzuweisen.

II
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.

III
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit hat ihre Grundlage in den § 708 Nr. 10, 713 ZPO.

IV.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzung nach § 543 ZPO nicht gegeben sind. Die gegenständliche Entscheidung folgt der höchstrichterlichen Rechtsprechung zum Anspruch des Sozialversicherungsträgers auf Herausgabe von Kopien der Behandlungsdokumentation aus übergegangenem Recht des behandelnden Patienten.(vgl. BGH Urteil vom 26.02.2013, Az.: VI ZR 349/11 m.w.N.).

Anmerkung:

Auch wenn der Patient verstorben ist, müssen Ärzte und Kliniken die Einsichtbegehren gegenüber den gesetzlichen Krankenversicherungen erfüllen. Denn es ist davon auszugehen, dass jeder Patient ein Interesse daran hätte zu wissen, ob er fehlerhaft behandelt wurde. Entsprechenden Anfragen ist daher kurzfristig zu entsprechen wobei darauf zu achten ist, dass der Arzt/die Klinik die vollständigen Unterlagen zur Einsicht bereit stellt bzw. in Kopie übersendet.  

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Philip Christmann
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