Die Anzeige "Kostenlose Zweitbegutachtung bei allen Erkrankungen der Schilddrüse" stellt eine nach dem HWG unzulässige Werbung dar (LG Hamburg, Urteil vom 14.10.2014 - 312 O 19/14).

Der Fall:

Die beklagte Klinik warb in einem Flyer, der Arztbriefen (an andere Ärzte) beilag, mit folgendem Text:

"Das 4-Augen-Prinzip - Ärztliche Zweitmeinung bei A…. - kostenlose Zweitbegutachtung bei allen Erkrankungen der Schilddrüse - Vorteil für Ihre Patienten: Mehr Transparenz und mehr Sicherheit bei der Therapieentscheidung"

Im Rahmen der beworbenen Aktion wurden in der Klinik der Beklagten erscheinende Patienten regelmäßig bereits von einem niedergelassenen Arzt untersucht, der sie dann bei der Beklagten einwies. Diese Patienten wurden dann bei der Beklagten vom behandelnden Arzt zunächst prästationär untersucht. Dabei führt der Arzt typischerweise ein Gespräch mit dem Patienten, tastet die Schilddrüse ab und erstellt eine Ultraschallaufnahme. Dazu erhält er noch aktuelle Blutwerte des Patienten. Diese Befunde leitet er dann in elektronischer Form an den Konsiliararzt weiter, der sich an hand der Befunde seine (Zweit-) Meinung bildet und sich dann mit dem behandelnden Arzt austauscht Sofern der behandelnde Arzt nach der Rücksprache mit dem Konsiliararzt dies befürwortet, wird der Patient operiert. Würde der Konsiliararzt seine Tätigkeit gesondert abrechnen, fiele hierfür eine Gebühr nach Ziff. 80 GOA und Ziff. 95 GOÄ an, die unter Anwendung des bei Privatpatienten üblichen 2,3-fachen Steigerungssatzes 45,00 € betrüge. Für die operativen Eingriffe rechnet die Beklagte eine DRG-Fallpauschale in einer Größenordnung zwischen € 3.000.00 und € 4.000,00 ab, wobei
für Privatpatienten hier ggf. noch wahlärztliche Leistungen in einer Größenordnung von mindestens 20 % hinzukommen.

Die Entscheidung:

Dem Kläger steht ein Unterlassungsanspruch nach §§ 8 Abs. 1, 3, 4 Nr. 11 UWG i. V. m. § 7 Abs. 1 HWG zu. Bei der mit der Anlage K1 beworbenen "kostenlosen Zweitbegutachtung" handelt es sich um das unzulässige Anbieten oder Gewähren einer Leistung nach § 7 Abs. 1 HWG.

Die Ausnahmetatbestände der Nummern 1 bis 5 des § 7 Abs. 1 HWG sind vorliegend nicht gegeben.

1. Bei der kostenlosen Zweitbegutachtung handelt es sich zunächst nicht um eine handelsübliche Nebenleistung im Sinne von § 7 Abs. 1 Nr. 3 HWG.
Nebenleistungen sind Dienstleistungen, welche einen Bezug zu einer Haupt!eistung aufweisen (vgl. Brixius, in: Bülow/Ring/ArtziBrixius: HWG, 4. Auf!., § 7 Rdnr. 101). An einem solchen notwendigen Bezug zu einer Hauptleistung fehlt es vorliegend bereits. Entgegen der Auffassung der Beklagten kann die Einholung einer Zweitmeinung über das Ob und ggf. das Wie einer Schilddrüsenoperation nicht ohne weiteres als bloße Nebenleistung zu der Operation selbst angesehen werden, sondern stellt eine eigenständige Leistung dar. Auch nach dem Vortrag der Beklagten dient die Zweitbegutachtung gerade dazu, dass der behandelnde Arzt gemeinsam mit dem Konsiliararzt die Erforderlichkeit und Zweckmäßigkeit einer Operation ermittelt, sodass gerade auch das Ergebnis denkbar ist, dass dies im Ergebnis verneint wird, es also nicht mehr zu der hohe Kosten auslösenden Operation (in der Klinik der Beklagten) kommt, es also auf Seiten der Beklagten lediglich bei der Zweitbegutachtung bleibt.

Soweit die Beklagte in dem nachgelassenen Schriftsatz vom 8.7.2014 demgegenüber vorträgt, dass die Entscheidung für die Operation durch den niedergelassenen behandelnden Arzt bereits getroffen sei, sich die Werbung deshalb nicht auf den Fall
beziehe, dass nach der Zweitbegutachtung festgestellt werde, dass es einer Operation entgegen der zunächst angestellten Überlegung nicht bedürfe, vermag dies an dern dargestellten Ergebnis nichts zu ändern. Die angesprochenen Fachkreise werden die Werbung nämlich entsprechend ihrem Wortlaut so verstehen, dass es sich bei der Zweitbegutachtung nicht lediglich um eine Scheinbegutachtung handelt, deren Ergebnis (nämlich die Erforderlichkeit einer Operation) von vornherein feststeht und die vor diesem Hintergrund keinen eigenständigen Wert hätte. Vor diesem Hintergrund kommt es auch nicht darauf an, ob die Beklagte sich tatsächlich in einer Weise verhält, welche dem Inhalt der
Werbebotschaft zuwiderliefe.

Da die Einholung einer Zweitmeinung nicht lediglich eine unselbständige Nebenleistung zur Operation darstellt, kommt es insoweit auf die Handelsüblichkeit der Zuwendung nicht mehr an. welche angesichts des von der Beklagten vorgetragenen Wertes der Zweitbegutachtung von € 20.-- selbst bei gesetzlich versIcherten Patienten nicht gegeben sein dürfte.

2. Die Leistung der Zweitbegutachtung stellt auch keinen Ratschlag im Sinne von § 7 Abs. 1 Nr. 4 HWG dar. sondern geht über einen solchen schon deshalb hinaus, weil sie eine ärztliche Prüfung aufgrund des Befundes bei dem Patienten voraussetzt und sich nicht allein in der Mitteilung des Ergebnisses erschöpft. Auch die anzunehmende hohe Bedeutung für die Operationsentscheidung des Patienten spricht dagegen, hier von einem bloßen Ratschlag auszugehen.

3. Es besteht auch entgegen der Auffassung der Beklagten kein Anlass, aufgrund wertender Betrachtung von einer ausnahmsweisen Zulässigkeit der Werbung auszugehen. Das Argument, dass die Kostenlosigkeit der Zweitbegutachtung typischerweise wirtschaftlich weder den Arzt noch den Patienten betreffe, sondern allein die Krankenversicherung vermag insoweit nicht zu überzeugen. Zum einen käme es für die Kostenerstattung einer Zweitbegutachtung auf das jeweilige Versicherungsverhältnis an, sodass nicht ohne Weiteres klar wäre. dass die jeweilige Versicherung bei fehlender medizinischer Erforderlichkeit einer weiteren Begutachtung bereit wäre, die dafür anfallenden Kosten in jedem Fall zu übernehmen. Zum anderen zeigt die Beklagte durch die werbliche Hervorhebung selbst, dass sie selbst von einer Vorteilhaftigkeit für die beworbenen Kreise ausgeht.

4. Der Umstand, dass sich die streitgegenständliche Werbung an die ärztlichen Fachkreise und nicht unmittelbar an die Patienten selbst richtet, heilt die unzulässige Werbemaßnahme ebenfalls nicht. Es ist nicht Tatbestandsmerkmal des § 7 Abs. 1 HWG, dass (unmittelbarer) Adressat der Werbemaßnahme, und derjenige. dem der Vorteil zugute kommen soll, identisch zu sein haben. Hinzu kommt, dass - vermittelt über den behandelnden einweisenden Arzt - eine Werbewirkung auch gegenüber dessen Patienten naheliegend erscheint.

Anmerkung:

Medizinische Dienste dürfen Patienten nur in Ausnahmefällen kostenlos angeboten werden. Nämlich dann, wenn es sich zum Beispiel um einen bloßen Ratschlag eines Arztes handelt oder um eine Nebenleistung, also eine Tätigkeit, die eine andere (gebührenpflichtige) Tätigkeit eines Arztes lediglich begleitet (z.B. das Verabreichen eines Pflasters nach einer Blutendnahme). Erlaubt sind z.B. auch geringwertige Werbebeigaben, wie Kulis, die mit dem Logo des Medikamentenherstellers bedruckt sind.

Allgemein sind Werbekonzepte für medizinische Leistungen, die auf Preisreduzierungen oder sogar kostenfreie Leistungen aufbauen, rechtlich kaum haltbar.

Ärztliche Werbung definiert sich in erster Linie über Empfehlungen. Werbekonzepte in Print- oder Online-Diensten sind gleichfalls möglich, wenn auch in strengen Grenzen. Diese sollten vorab rechtlich auf ihre Zulässigkeit geprüft werden.

Zum Thema:

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Philip Christmann
Vertretung und Beratung im Medizinrecht und Arztrecht
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