Kein Regress, wenn ein Arzt nach einer vertretbaren Diagnose ein zugelassenes Medikament verordnet. Dass ein Sachverständiger Jahre später das aktenmäßige Krankheitsbild des Versicherten eher einer anderen Krankheitsbezeichnung zuordnet, für die das Medikament nicht zugelassen war, rechtfertigt einen Regress nicht (BSG, Urteil vom 30. Oktober 2013 - B 6 KA 2/13 R -).

Der Fall:

Ein Mediziner einer Gemeinschaftspraxis behandelte in den Quartalen III/2001 bis II/2002 eine Versicherte, die entweder an einer “chronischen idiopathischen demyelinisierenden Polyneuropathie (CIDP)” oder an einem “Guillain-Barré-Syndrom (GBS)” erkrankt war. Er gab ihr Polyglobulin-Infusionslösungen. Dieses Medikament war im Behandlungszeitraum für die Behandlung des GBS, nicht aber für die Behandlung der CIDP zugelassen.

Auf Antrag der klagenden Krankenkasse AOK setzte der beklagte Prüfungsausschuss wegen der von ihm als unzulässig gewerteten Verordnungen einen Regress gegen die Gemeinschaftspraxis in Höhe von rund 22.700 Euro fest. Hintergrund war ein ärztliches Gutachten, wonach der Sachverständige das Krankheitsbild eher der Krankheit CIPD zuordnete.

Die Entscheidung:

Das BSG gab im Ergebnis dem Arzt Recht.

Arzneimittelverordnungen sind entweder zulässig oder unzulässig. Hat der Vertragsarzt die maßgeblichen Vorgaben für seine Verordnungstätigkeit unter Einschluss der Grundsätze zum Off-Label-Use beachtet, besteht keine Rechtfertigung dafür, ihn auch nur teilweise an den Kosten für verordnete Arzneimittel zu beteiligen.

Die Rechtsprechung des Senats zu Arzneikostenregressen bietet hinreichend Spielraum, den besonderen Schwierigkeiten Rechnung zu tragen, denen sich Vertragsärzte insbesondere dann gegenübersehen, wenn sie schwer erkrankte Patienten nach einer stationären Behandlung wieder ambulant versorgen müssen und (noch) keine abschließende Klarheit über die genaue Bezeichnung der Erkrankung besteht. Maßstab für die Beurteilung der Zulässigkeit einer Verordnung ist dann, ob sich der Vertragsarzt nach den ihm vorliegenden Ergebnissen sorgfältiger Diagnostik eine vertretbare Meinung über das bei dem Patienten vorliegende Krankheitsgeschehen gebildet und seine Verordnungsweise danach ausgerichtet hat. Hat der Vertragsarzt auf der Grundlage einer vertretbaren Beurteilung der Erkrankung des Versicherten (GSB) ein für die Behandlung dieser Erkrankung zugelassenes Medikament verschrieben, ist für einen Kostenregress kein Raum, auch wenn ein Sachverständiger Jahre später das aktenmäßige Krankheitsbild des Versicherten eher einer anderen Krankheitsbezeichnung (CIPD) zuordnet.

Anmerkung:
Im vorliegenden Falle war die Verordnung von Polyglobulin-Infusionen für die Diagnose GSB aus Sicht des Bundessozialgerichts vertretbar. D.h. das BSG konnte die damalige Entscheidung des Arztes auf Grund der vorliegenden Behandlungsdokumentation nachvollziehen. 

Für den Arzt bedeutet dies, dass er seine Befundung und Begründung der Verordnung nachvollziehbar gestalten muss, insbesondere bei kostenaufwändigen Medikamenten. Erfassen Sie also Ihre Gedankengänge zu der Verordnung eines Medikamentes (Indikation, Erforderlichkeit, Mangel an Alternativen) stichpunktartig in der Behandlungsdokumentation.

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Philip Christmann
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