Das Bundessozialgericht (BSG) verbessert die Möglichkeiten des Arztes, auch in einem laufenden Regressverfahren mit der KV über eine Individuelle Richtgrößenvereinbarung (IRV) zu verhandeln (Urteil vom 28. August 2013 - B 6 KA 46/12 R).

Der Fall:

Der an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmende Kläger, ein Facharzt für Allgemeinmedizin, überschritt im Jahr 2005 sein Richtgrößenvolumen um 101,94 Prozent. Nach Festsetzung eines Regresses durch den Prüfungsausschuss machte der Kläger vor dem beklagten Beschwerdeausschuss die Anerkennung weiterer Praxisbesonderheiten sowie – hilfsweise – den Anspruch auf Abschluss einer individuellen Richtgrößenvereinbarung (IRV) geltend. Der Beklagte wies den Widerspruch sowie den Abschluss einer IRV zurück; nach Erlass eines Prüfbescheides sei eine IRV ausgeschlossen.

Während das Sozialgericht (SG) der Klage stattgegeben hat, hat das Landessozialgericht (LSG) auf die Berufung des Beklagten das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Der Abschluss einer IRV sei gemäß § 106 Abs 5d SGB V nur vor Festsetzung eines Regresses möglich; im Verfahren vor dem Prüfungsausschuss (jetzt: der Prüfungsstelle) habe der Kläger dies jedoch nicht beantragt. Die Prüfgremien seien auch nicht verpflichtet, dem Arzt von sich aus den Abschluss einer IRV anzubieten; der Arzt habe – sofern er dies rechtzeitig geltend mache – nur einen Anspruch auf Verhandlung über eine solche Vereinbarung.

Mit seiner Revision macht der Kläger geltend, der Bescheid des Beklagten sei rechtswidrig, weil dieser ihm kein Angebot auf Abschluss einer IRV unterbreitet habe.

Die Entscheidung:

Das BSG gibt dem Arzt Recht und verpflichtet den Prüfungsausschuss bzw. die Prüfungsstelle, über den Widerspruch des Arztes neu zu entscheiden und dabei mit dem Arzt über den Abschluss einer individuellen Richtgrößenvereinbarung (IRV) zu verhandeln.

Dazu führt das BSG aus:
Zwar sind die Prüfgremien nicht verpflichtet, dem zu prüfenden Arzt von sich aus den Abschluss einer IRV anzubieten oder ihn ausdrücklich zu entsprechenden Verhandlungen aufzufordern, doch müssen sie mit ihm in Verhandlungen eintreten, wenn der Arzt dies anregt oder beantragt. Anspruch auf Abschluss einer IRV besteht allerdings nicht; wird keine Übereinstimmung über den Inhalt der Vereinbarung erzielt, sind die Verhandlungen gescheitert. Entgegen der Auffassung des LSG ist der Abschluss einer IRV auch noch im Verfahren vor dem Beschwerdeausschuss möglich, weil dieser grundsätzlich dieselben Befugnisse wie die Prüfungsstelle hat und zudem nicht nur die Rechtmäßigkeit der angegriffenen Entscheidung prüft, sondern eine eigenständige Entscheidung in zweiter Verwaltungsinstanz trifft. Auch für die Annahme des LSG, eine IRV könne nur geschlossen werden, solange noch kein Regress festgesetzt worden ist, besteht keine hinreichend deutliche gesetzliche Grundlage.

§ 106 SGB V lautet:

(5d) Ein vom Vertragsarzt zu erstattender Mehraufwand wird abweichend von Absatz 5a Satz 3 nicht festgesetzt, soweit die Prüfungsstelle mit dem Arzt eine individuelle Richtgröße vereinbart, die eine wirtschaftliche Verordnungsweise des Arztes unter Berücksichtigung von Praxisbesonderheiten gewährleistet. In dieser Vereinbarung muss sich der Arzt verpflichten, ab dem Quartal, das auf die Vereinbarung folgt, jeweils den sich aus einer Überschreitung dieser Richtgröße ergebenden Mehraufwand den Krankenkassen zu erstatten. Die Richtgröße ist für den Zeitraum von vier Quartalen zu vereinbaren und für den folgenden Zeitraum zu überprüfen, soweit hierzu nichts anderes vereinbart ist. Eine Zielvereinbarung nach § 84 Abs. 1 kann als individuelle Richtgröße nach Satz 1 vereinbart werden, soweit darin hinreichend konkrete und ausreichende Wirtschaftlichkeitsziele für einzelne Wirkstoffe oder Wirkstoffgruppen festgelegt sind.

Praxistipp:

Die Vereinbarung einer Richtgröße entkoppelt den Arzt von den starren Richtgrößenvolumen. Er kann eine individuelle Größe seiner Ausgaben mit der KV vereinbaren. Das BSG stellt nun fest, dass der Arzt auch die Möglichkeit haben muss, eine solche Vereinbarung zu schließen (wenn er auch im Ergebnis keinen Anspruch auf den Abschluss einer solchen Vereinbarung hat). Dies kann er auch noch nach einem Regress tun. Das gibt dem Arzt einen weiteren Verhandlungsspielraum mit der KV.

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Philip Christmann
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