Welche Folgen ein unvollständiger Praxisgemeinschaftsvertrag haben kann, zeigt die Entscheidung des LG Konstanz (Urteil vom 19.12.12 - 2 O 375/12): Der Vertrag enthielt keine Regelung dazu, in welchem Umfang die Ärzte verpflichtet sind, der Praxisgemeinschaft ihre Arbeitskraft zur Verfügung zu stellen oder wie Fehlzeiten kostenmäßig zu behandeln sind. Daher musste eine Ärztin, die die Gemeinschaft vor der Zeit verließ, keinen Schadensersatz für entgangene Umsätze an die verbleibende Ärztin zahlen.

Der Fall:

Zwei Zahnärztinnen schlossen im Jahr 2007 eine Kooperation betreffend einer Zahnarztpraxis. Die klagende Ärztin (Senior) stellte Praxis und Inventar, die beklagte Ärztin (Junior) konnte die Infrastruktur nutzen und zahlte dafür eine Nutzungs/Kostenpauschale in Höhe von 67% des von ihr erwirtschafteten Honorarumsatzes (ohne Kosten des Eigenlabors) - für Prophylaxeleistungen musste sie 80 % abführen. Eine Regelung zur Verteilung der Sprechstunden bzw. zur Arbeitszeitverteilung sah der Vertrag nicht vor. Die Kündigungsfrist betrug sechs Monate.

Der Vertrag wurde dann so "gelebt", dass die Juniorin vier Tage die Woche, die Seniorin einen Tag der Woche tätig war. Später schmiss die Juniorin die Praxis alleine - die Seniorin stand de facto lediglich für fachliche Unterstützung (Konzil) und Urlaubsvertretung zur Verfügung. Die Seniorin war im übrigen an einem anderen Praxisstandort tätig. Honorareinnnahmen flossen auf ein gemeinsames Konto und die Seniorin trug alle laufenden Kosten der Gemeinschaftspraxis.
 

Die Juniorin kündigte Ende 2011 und verließ die Praxis zum Jahreswechsel 2011/2012. Sie gründete eine eigene Zahnarztpraxis.

Die Seniorin verlangte von der Juniorin u.a. Schadensersatz für Umsatzausfälle, die ihr durch das Wegbleiben der Juniorin entstanden seien.

Die Entscheidung:

Das Landgericht Koblenz wies ihre Klage zurück. Ein Schadensersatzanspruch für entgangene Einnahmen in der Zeit vom 1.1.2012 bis 30.06.2012 bestehe nicht. Zwar habe die Juniorin die Kündigungsfrist von sechs Monaten nicht beachtet. Daraus ergebe sich aber kein Schadensersatzanspruch. Ein solcher erfordere, dass der Gesellschaftsvertrag regelt, welche konkrete zeitliche Leistungspflicht die Juniorin zu erfüllen hat bzw. wie Fehlzeiten kostenmäßig auszugleichen sind. Zu alledem findet sich aber nichts in dem Vertrag. Solches ergebe sich auch nicht aus der Ärzte-Zulassungsverordnung oder den berufsrechtlichen Vorgaben. Auch die tatsächliche Handhabung der Praxis, in der die Juniorin schließlich zuerst vier, dann fünf Tage pro Woche in der Praxis arbeitete, ergebe nichts anderes. Denn dies sei nur nach freier Absprache geschehen. Es sei nicht Gegenstand einer ausdrücklichen vertraglichen Vereinbarung mit entsprechenden Kostensanktionen gewesen. Mit anderen Worten: Die Parteien hatten es versäumt, die Arbeitszeiten festzulegen und zu bestimmen, wie sich Fehlzeiten auf die Verteilung der Kosten und Einnahmen auswirken.

Praxistipp:

Die immer wieder anzutreffende Unsitte, Verträge für komplexe rechtliche Gebilde selbst zu entwerfen oder sich aus Vorlagen selbst zusammenzupuzzeln, hat auch in diesem Fall zu finanziellen Einbußen für eine der Vertragsparteien geführt. Die üblichen Musterverträge passen oft nicht auf die spezielle Konstellation der Gemeinschaftspraxis. Erforderlich ist eine individuelle vertragliche Konstruktion, vergleichbar einem Maßanzug. Es gilt die alte Weisheit: "Wer billig kauft, kauft doppelt". Überdies führen solche Verträge oftmals zu steuerrechtlichen Problemen (Umsatzsteuerpflicht, Gewerbesteuerpflicht).

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Philip Christmann
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