Die Untiefen des Insolvenzrechts haben so manche Überraschung parat. Das musste ein anwaltliches Versorgungswerk erfahren, das tüchtig, erfolgreich und ganz im Sinne seiner Statuten in seine Forderungen gegen einen überschuldeten Anwaltes vollstreckte. Der später für den Anwalt bestellte Insolvenzverwalter sah darin eine Benachteiligung der anderen Gläubiger des Anwaltes - und zückte das scharfe Schwert der Insolvenzanfechtung, hier in Gestalt des § 133 Absatz 1 InsO. Zu Recht, meint das LG Düsseldorf (LG Düsseldorf, Urteil vom 13. August 2013 - 13 O 157/12 U).

Und das Gericht verpflichtete das Versorgungswerk, die gesamten aus dem Anwalt durch die Androhung der Abgabe einer Eidesstattlichen Versicherung herausgepressten Beträge zur Insolvenzmasse zurückzuzahlen:

Das beklagte Versorgungswerk wird verurteilt, an den Kläger 18.602,75 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 02.11.2010 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt das beklagte Versorgungswerk.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 115 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.

Tatbestand

Der Kläger nimmt das beklagte Versorgungswerk als Insolvenzverwalter über das Vermögen des Herrn E (im Folgenden: „Insolvenzschuldner“) in Anspruch, über dessen Vermögen mit Beschluss des Amtsgerichts Frankfurt (Oder) vom 15.02.2010 (Az. XXXX ) das Insolvenzverfahren eröffnet wurde. Der Insolvenzschuldner war Mitglied beim beklagten Versorgungswerk und geriet ab dem Jahr 2006 mit seinen Beitragszahlungen in Rückstand und zahlte ab Mai 2007 mehr als ein Jahr lang überhaupt keine Beiträge mehr. Zwangsvollstreckungsmaßnahmen des beklagten Versorgungswerkes blieben fruchtlos, die beantragte eidesstattliche Versicherung gab der Insolvenzschuldner nicht ab, weshalb das beklagte Versorgungswerk einen Haftbefehl erwirkte und am 11.04.2008 einen Gerichtsvollzieher mir dessen Durchsetzung beauftragte. Zur Vermeidung der Verhaftung sicherte der Insolvenzschuldner die Zahlung der laufenden Beiträge sowie die Zahlung von monatlichen Raten zu je 1.000,00 € zum Abbau der Rückstände zu; zu diesem Zeitpunkt war der Beitragsrückstand auf 39.850,49 € angewachsen. Im Folgezeitraum Mai 2008 bis Oktober 2009 zahlte der Insolvenzschuldner insgesamt 18.602,75 € an das beklagte Versorgungswerk (vgl. zur Höhe der einzelnen Zahlungen Bl. 3 f. GA), die der Kläger nun im Wege Insolvenzanfechtung zurückfordert.

Der Kläger trägt vor, die Zahlungen ab Mai 2008 unterlägen der Insolvenzanfechtung nach § 133 Abs. 1 InsO, insbesondere habe das beklagte Versorgungswerk Kenntnis vom Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Insolvenzschuldners gehabt und dessen Zahlungsunfähigkeit gekannt. Im Übrigen seien die Zahlungen entgegen der Rechtsansicht des beklagten Versorgungswerkes trotz der drohenden Zwangsvollstreckungsmaßnahmen auch willensgesteuerte Handlungen des Insolvenzschuldners gewesen und damit anfechtbar.

Der Kläger beantragt,

das beklagte Versorgungswerk zu verurteilen, an den Kläger 18.602,75 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 02.11.2010 sowie weitere 1.099,00 € an vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten zu zahlen.

Das beklagte Versorgungswerk beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das beklagte Versorgungswerk erwidert, es fehle schon an einer willensgesteuerten Handlung des Insolvenzschuldners, weil für diesen bei weiterer Nichtzahlung die Gefahr bestanden hätte, die Zulassung als Rechtsanwalt zu verlieren. Außerdem habe der Insolvenzschuldner aufgrund kongruenter Deckung nicht mit Gläubigerbenachteiligungsvorsatz gehandelt, jedenfalls habe es von diesem keine Kenntnis gehabt; aufgrund der Erfüllung der Ratenzahlungsvereinbarung habe es auch keine Anhaltspunkte dafür gegeben, dass der Insolvenzschuldner mit Gläubigerbenachteiligungsvorsatz handeln könnte.

Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf die wechselseitigen Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen verwiesen.

Gründe

Die zulässige Klage ist überwiegend begründet, der Kläger kann die streitgegenständlichen Zahlungen in Höhe von insgesamt 18.602,75 € erfolgreich gemäß § 133 Abs. 1 InsO anfechten; nur im Hinblick auf die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten war die Klage abzuweisen.

1.

Entgegen der Rechtsansicht des beklagten Versorgungswerks sind die streitgegenständlichen Zahlungen des Insolvenzschuldners anfechtbare Rechtshandlungen im Sinne des § 133 Abs. 1 S. 1 InsO, auch wenn diese insbesondere deshalb erfolgt sind, um Zwangsvollstreckungsmaßnahmen des beklagten Versorgungswerks abzuwehren, die seine Existenz als Rechtsanwalt bedrohten. Denn auch diese (zweifelsohne vorhandene) Zwangslage ließ nicht die Willensfreiheit des Insolvenzschuldners entfallen, die Zahlungen an das beklagte Versorgungswerk stellen auf einer selbstbestimmten Entscheidung basierende Handlungen dar.

Die hinter dem § 133 Abs. 1 InsO stehende Wertung missbilligt die Bevorzugung bestimmter Gläubiger durch den Insolvenzschuldner (vgl. BGH, NZI 2005, 215, 216; MüKo-InsO/Kirchhof, 2. Aufl., § 133 Rn. 1). Dieser Unredlichkeitsvorwurf kann dem Schuldner allerdings nur dann gemacht werden, wenn die Bevorzugung die Folge einer eigenen Handlung ist; deshalb unterliegen Zwangsvollstreckungsmaßnahmen (z. B. Pfändungen) von Gläubigerin regelmäßig keiner Anfechtung nach § 133 InsO, weil es in diesem Fall an einer selbstbestimmten Handlung des Schuldners fehlt (MüKo-InsO/Kirchhof, 2. Aufl., § 133 Rn. 9). Dies betrifft allerdings nicht die Fälle, in denen ein Schuldner zur Vermeidung von (ggf. weiteren) Zwangsvollstreckungsmaßnahmen Zahlungen an bestimmte Gläubiger leistet (vgl. BGH, NZI 2010, 184, 185). In einem solchen Fall mag dieser sich zwar in einer faktischen Zwangslage befinden, rechtlich sind seine Handlungen aber selbstbestimmt, weil er die Zahlungen auch weiterhin verweigern könnte. Dass ihm hieraus (ggf. existenzbedrohende) Nachteile drohen würden, ändert an der Selbstbestimmtheit seiner Handlungen nichts. Faktische Zwänge sind insolvenztypisch und lassen nicht die Handlungsfreiheit des Insolvenzschuldners entfallen; auch in Reaktion auf Vollstreckungsmaßnahmen vorgenommenen Druckzahlungen stellen Rechtshandlungen des Schuldners dar (Uhlenbruck/Hirte, 13. Aufl., § 133 Rn. 8).

Deshalb kann es zur Überzeugung des erkennenden Gerichts vorliegend keine Zweifel geben, dass die Zahlungen des Insolvenzschuldners an das beklagte Versorgungswerk Rechtshandlungen im Sinne des § 133 Abs. 1 InsO waren, auch wenn diese zur Abwehr existenzbedrohender Vollstreckungsmaßnahmen dienten.

2.

Die streitgegenständlichen Zahlungen des Insolvenzschuldners an das beklagte Versorgungswerk haben durch eine Verkürzung der zur Befriedigung der übrigen Gläubiger zur Verfügung stehenden Masse objektiv zu einer Benachteiligung dieser Gläubiger geführt. Der Insolvenzschuldner handelte bei seinen Zahlungen an das beklagte Versorgungswerk auch mit Gläubigerbenachteiligungsvorsatz, weil er zumindest billigend in Kauf genommen hat, dass durch die Zahlungen an das beklagte Versorgungswerk die Befriedigungsmöglichkeit der übrigen Gläubiger beeinträchtigt wurden. Selbst wenn es ihm bei den Zahlungen an das beklagte Versorgungswerk in erster Linie darum ging, seine Zulassung als Rechtsanwalt nicht zu verlieren, ändert dies nichts am Vorliegen eines Benachteiligungsvorsatzes. Selbst bei kongruenten Deckungshandlungen liegt ein Benachteiligungsvorsatz vor, wenn es dem Insolvenzschuldner weniger auf die Erfüllung der Verbindlichkeit als auf die Begünstigung des Leistungsempfängers ankommt; eine solche Absicht ist insbesondere bei sog. Druckzahlungen an Gläubigern anzunehmen, die den Insolvenzschuldner mit Vollstreckungsmaßnahmen bedrängen, z. B. die Abgabe der eidesstattlichen Versicherung beantragt haben (vgl. Uhlenbruck/Hirte, 13. Aufl., § 133 Rn. 14; MüKo-InsO/Kirchhof, 2. Aufl., § 133 Rn. 33a, 34a). Vorliegend ging es dem Insolvenzschuldner insbesondere darum, die vom beklagten Versorgungswerk beantragte Abgabe der eidesstattlichen Versicherung zu vermeiden, um seine Zulassung als Rechtsanwalt nicht zu gefährden, was sich aus seinem Schreiben an das beklagte Versorgungswerk vom 08.01.2008 (Anlage B 2) ergibt. Daher ging es ihm vornehmlich darum, das beklagte Versorgungswerk bevorzugt zu befriedigen, um dessen existenzbedrohenden Vollstreckungsmaßnahmen abzuwehren; damit hat er aber zugleich billigend in Kauf genommen, dass durch diese bevorzugte Behandlung des beklagten Versorgungswerks die Befriedigungschancen der übrigen Gläubiger beeinträchtig wurden.

3.

Gemäß § 133 Abs. 1 S. 2 InsO ist die Kenntnis des beklagten Versorgungswerks vom Benachteiligungsvorsatz des Insolvenzschuldners zu vermuten. Diese Vermutungswirkung greift schon immer dann, wenn dem Anfechtungsgegner bekannt ist, dass über einen längeren Zeitraum Verbindlichkeiten in beträchtlicher Höhe vom Insolvenzschuldner nicht beglichen wurden und dem Anfechtungsgegner bewusst ist, dass noch andere Gläubiger mit ungedeckten Ansprüchen existieren (vgl. Hirte, in: Uhlenbruck. 13. Aufl., § 133 Rn. 31).

Diese Kenntnis lag beim beklagten Versorgungswerk zweifelsohne mit Erhalt des Schreibens des Herrn F vom 07.11.2008 (Anlage B 1) vor, in welchem auch die Steuerrückstände des Insolvenzschuldners gegenüber dem Finanzamt G thematisiert werden. Aber auch schon vorher muss von einer Kenntnis des beklagten Versorgungswerkes ausgegangen werden. Dieses weist in dem hiesigen Rechtsstreit zu Recht darauf hin, dass die Begleichung von Beiträgen zum Versorgungswerk für einen Rechtsanwalt existenzielle Bedeutung hat, weil diesem ansonsten der Widerruf der Zulassung als Rechtsanwalt droht. Kommt ein Rechtsanwalt seiner Beitragspflicht aber über einem Zeitraum von mehr als einem Jahr nicht nach, so indiziert dies zur Überzeugung des Gerichts eine Zahlungsunfähigkeit; ein berufsständiges Versorgungswerk kann in einem solchen Fall aufgrund der für den Rechtsanwalt drohenden Folgen nicht davon ausgehen, der einzige Gläubiger des Insolvenzschuldners zu sein. Denn wer als Schuldner Verbindlichkeiten nicht mehr begleicht, von deren Tilgung seine Existenz unmittelbar abhängt, hat nach der allgemeinen Lebenserfahrung auch Rückstände bei anderen Gläubigern (so auch Rein, in: NJW Spezial 2011, 213, 214 für Energieschulden), sofern die fehlende Erfüllung nicht auf besonderen Umständen beruht, wie z. B. auf Streitigkeiten über die Berechtigung der geltend gemachten Forderung.

Da das beklagte Versorgungswerk spätestens mit Erhalt des Schreibens Anlage B 1 Kenntnis über weitere Verbindlichkeiten des Insolvenzschuldners gegenüber dem Finanzamt F hatte, konnte es trotz Erfüllung der Ratenvereinbarung darüber hinaus auch nicht davon ausgehen, dass die Zahlungsunfähigkeit des Insolvenzschuldners überwunden war, mithin eine bloße Zahlungsstockung vorgelegen hatte. Abgesehen von der Tatsache, dass der Umfang der Rückstände des Insolvenzschuldners und die Dauer der Nichtzahlung schon gegen eine bloße Zahlungsstockung spricht, kann ein Gläubiger trotz Erfüllung einer Ratenzahlungsvereinbarung nicht einfach davon ausgehen, die Zahlungsunfähigkeit sei im Allgemeinen gegenüber allen Gläubigern behoben (vgl. BGH, NJW 2002, 515, 518) , insbesondere nicht wenn ihm weitere Gläubiger bekannt sind; denn gerade in einem solchen Fall muss er damit rechnen, dass der Schuldner die Verbindlichkeiten auf Kosten anderer Gläubiger erfüllt.

4.

Der Zinsanspruch folgt aus § 143 Abs. 1 S. 2 InsO i.V.m. §§ 819 Abs. 1, 818 Abs. 4, 291, 288 Abs. 1 S. 2 BGB; die Prozesszinsen können ab Eröffnung des Insolvenzverfahren beansprucht werden (BGH, NZI 2007, 230), vorliegend also ab dem 15.02.2010, wobei der Kläger Zinsen erst ab dem 02.11.2010 eingeklagt hat, woran das Gericht gemäß § 308 ZPO gebunden ist.

5.

Hinsichtlich der im Antrag geltend gemachten vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 1.099,00 € war die Klage abzuweisen, denn hierfür fehlt es an jeglichem Vortrag. Auch wenn das Gericht davon ausgeht, dass hiermit eine Netto-Geschäftsgebühr von 1,3 nebst Auslagenpauschale geltend gemacht werden soll, die im Zweifel aufgrund des Schriftsatzes vom 13.07.2012 dann auf der Grundlage eines Streitwerts von 18.602,75 € zu berechnen wäre, so kann es diese 807,80 € nicht zusprechen, weil noch nicht einmal vorgetragen wurde, dass der Kläger sich vorgerichtlich anwaltlicher Unterstützung bedient hat; es existieren in der Gerichtsakte auch keinerlei Schreiben, aus denen dies hervorgehen würde.

6.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 709 ZPO.

Der Streitwert wird auf 18.602,75 EUR festgesetzt.

Anmerkung:

Die Entscheidung lehrt, dass der Umgang mit zahlungsschwachen Personen mit Bedacht gewählt werden muss. Das Windhundprinzip (wer zuerst und am stärksten vollstreckt, gewinnt) gilt nicht, solange es die anderen Gläubiger benachteiligt. Im Ergebnis waren alle Bemühungen des Versorgungswerkes vergeblich, auch die für die Zwangsvollstreckung entstandenen Kosten sind als verloren zu betrachten. Das Insolvenzrecht will die Gesamtheit der Gläubiger schützen - sie sollen zu gleichen Teilen aus dem Wenigen, was noch da ist (oder in den Jahren bis zur Restschuldbefreiung vom Schuldner erwirtschaftet werden kann), befriedigt werden. Und da kennt das Insolvenzrecht kein Pardon.
Nur wer einen Gesamtvergleich des Schuldners mit allen Gläubigern erwirkt, ist wirklich sicher, das so erhaltene Geld auch behalten zu dürfen.

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Philip Christmann
Vertretung und Beratung im Medizinrecht und Arztrecht
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